Was ist FASD?
Die Fetalen Alkohol-Spektrumstörungen, kurz: FAS oder FASD, sind ausgesprochen vielfältig. Die Oberbegriffe FAS und FASD beziehen sich auf ein großes Spektrum an Symptomen. Manche Menschen sind lediglich leicht von einzelnen Symptomen beeinträchtigt, während andere ein Leben lang Hilfe und Unterstützung benötigen. Kinder mit FASD besuchen vom Gymnasium bis zur Förderschule alle Schulformen. Erwachsene mit FASD stehen erfolgreich im Berufsleben oder leben auf der Straße.
Bei FASD gilt deshalb die Regel: "Kennst du ein Kind mit FASD, kennst du eins."
Die wenigsten Menschen mit FAS oder FASD werden in Deutschland diagnostiziert. Die Diagnose wird nur bei einer kleinen Gruppe unter den betroffenen Kindern und Erwachsenen gestellt.
"Wer FASD kennt, kann die Gegenwart verstehen, die Zukunft aktiv gestalten und die nächste Generation schützen."
Sabine Leipholz
FAQ
Sie haben noch Fragen zu FASD? Die häufigsten Fragen habe ich hier zusammengestellt:
Was ist der Unterschied zwischen FASD und FAS?
FASD und FAS sind 2 Oberbegriffe für 1 Spektrumstörung.
FASD ist eine englische Abkürzung und heißt Fetal Alcohol Spectrum Disorder.
FAS ist eine deutsche Abkürzung und heißt Fetale Alkohol Spektrumstörungen.
FASD und FAS sind beides Oberbegriffe für FASD und umfassen das ganze Spektrum der lebenslangen Folgen durch mütterlichen Alkoholkonsum von Schwangerschaftswoche 1 bis zur Geburt des Kindes. Es gibt so gesehen keinen Unterschied zwischen FAS und FASD. Manchmal wird aber mit FAS die Unterdiagnose FAS-Vollbild bezeichnet und manchmal wird FASD als Synonym für ein pFAS benutzt (Ärzteblatt 6.1.2016).
Andere Oberbegriffe für die Spektrumstörung sind:
- Fetales Alkoholsyndrom
- Alkoholembryopathie
- fetale Alkoholeffekte
- Alkoholembryofetopathie
- Embryofetales Alkoholsyndrom
- Embryofetopathia alcoholica
Im ICD 10 findet sich FAS in der Systematik unter Q 86.1 Embryofetales Alkoholsyndrom Embryofetopathia alcoholica Fetales Alkoholsyndrom.
Glücklicherweise sind diese Begriffe für das Leben und Arbeiten mit FASD ebensowenig ausschlaggebend, wie für die Betroffenen selbst.
Die Unterdiagnosen von FAS heißen FAS-Vollbild, pFAS und ARND. Kann man sagen, welche weniger schlimm ist?
Die heute gebräuchlichen Unterdiagnosen
- FAS-Vollbild oder FAS (Fetales Alkoholsyndrom)
- pFAS (partielles Fetales Alkoholsyndrom / Partial Fetal alcohol syndrome)
- ARND (Alcohol-Related Neurodevelopmental Disorder)
sind eine naturwissenschaftlich orientierte Systematik in der Medizin, die nichts über die Art und Schwere der Schädigung des ZNS und deshalb auch nichts über die Probleme im Alltag aussagt.
Eine andere Unterdiagnose ist ARBD, Alcohol-related birth defect. Sie spielt heute in der Diagnostik kaum noch eine Rolle. Die Unterschiede zwischen den Unterdiagnosen laut einer Studie aus Kanada in den Krankheitszeichen. Dort wirde festgestellt, dass das Vollbild FAS von 428 Krankheitszeichen begleitet wird, wohingegen pFAS "nur" von 183 Krankheitszeichen begleitet wird. Zu solchen Krankheitszeichen gehören z.B. Hyperaltivität, Augenfehlbildungen, Herzfehler, Hypermobilität der Gelenke und viele mehr.
Für den pädagogischen Alltag, die therapeutische oder begleitende Unterstützung von Menschen mit FASD ist diese Systematik nicht entscheidend. Ob, wieviel und welche Hilfen ein Mensch mit FASD braucht ist nicht abhängig von der Unterdiagnose. Hier ist die Neurodegeneration, also die Schädigung von Gehirn und ZNS ausschlaggebend und die ist individuell verschieden.
Ist FASD eine Körperbehinderung?
Das Zell- und Mitosegift Alkohol greift jede Zelle im Körper von Fötus und Embryo an. Es schädigt die Zellen und hat sehr vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Kinder. Eine kanadische Studie von 2015 geht von bis zu 428 Krankheitszeichen bei Kindern mit FASD aus. Die bekannten und FASD typischen Verhaltensauffälligkeiten entstehen durch Neurodegenaration, das heißt durch Veränderungen an den Nervenzellen im Gehirn. FASD gehört damit in den Bereich der Hirnschädigungen. Eine Gehirnschädigung gehört zu den Körperbehinderungen. Der Gesetzgeber zählt FASD zu den seelischen Behinderungen.
Ist FASD selten?
1 von 50 Kindern wird in Deutschland mit FASD geboren. Dazu kommt wahrscheinlich noch eine hohe Dunkelziffer. FASD ist häufig und häufig übersehen.
Der Alkoholkonsum in Deutschland ist Weltspitze. Derzeit liegen wir auf Platz 5. Ca. 80 % der deutschen konsumieren Alkohol und etwa 30 % der Schwangeren verzichten nicht ganz auf die Alltagsdroge der Deutschen. Auf diesem Hintergrund gehen ExpertInnen von einer hohen Dunkelziffer aus.
Haben alle Menschen mit FASD die gleichen Probleme?
Defintiv nicht.
Alkohol ist ein Zellgift, das auf jede Zelle des ungeborenen Kindes einwirkt. Dadurch können auch z.B. Schäden an den Augen, Zähnen, Gelenken, Herz oder Nieren auftreten. Das Gehirn und ZNS sind immer betroffen, aber die Art und Schwere der Schädigung ist insgesamt individuell verschieden. FASD kann mit einer schweren geistigen Behinderung einhergehen, einer leichten geistigen Behinderung, einem normalen oder sogar einem sehr hohen IQ von 130 und mehr.
Es gibt Menschen mit FASD, die Auto fahren, segeln oder fliegen. Menschen mit FASD leben als Unternehmer, Akademiker, Kaufleute, Erzieher, Handwerker oder oder in der Mitte der Gesellschaft. Andere brauchen Unterstützung in sehr vielen oder sogar allen Bereichen des täglichen Lebens. Wieder andere fallen durch alle Raster.
Entsteht FASD nur bei Kindern von Alkoholikerinnen?
Fetale Alkohol Spektrum Störungen können durch jede Menge Alkohol entstehen. Ein Glas kann ausreichen um das Kind zu schädigen. Alkohol ist ein Zellgift. Es gibt keine Menge dieser Droge, die für ein Baby und erst recht nicht für einen Embryo oder Fötus unbedenklich ist. Das Zellgift Alkohol fragt nicht danach, ob Alkohol als Suchtmittel oder Genussmittel konsumiert wird. Das Zellgift Alkohol greift in jeder Menge die Gehirn- und Nervenzellen des ungeborenen Kindes an. Darum gilt: Wenn schwanger dann ZERO!
Welche Frauen sind besonders gefährdet ein Kind mit FASD zu bekommen?
Deutschland ist ein Hochkonsumland in Bezug auf Alkohol. Etwa 30 % der Schwangeren in Deutschland trinken Alkohol (Studie: Spohr, Charité 2013).
Manchmal bemerken Frauen ihre Schwangerschaft erst spät und trinken bis dahin wie gewohnt weiter: einen Prosecco am Wochenende oder einen Sekt am Geburtstag. Oder Schwangere wollen die Schwangerschaft noch nicht öffentlich machen und trinken deshalb in Gruppen mit, um nicht aufzufallen und unangehme Fragen zu vermeiden.
Nicht zuletzt trinken schwangere Frauen Alkohol auch, weil ihnen das Risiko nicht wirklich bewusst ist.
Zu den Risikogruppen unter den Frauen gehören deshalb außer Alkoholikerinnen noch:
- Frauen aus prekären Verhältnissen
- Teenagerinnen
- ältere Schwangere um die 40 Jahre
- Akademikerinnen
- Frauen mit hohem sozio-okönomischen Status
- Frauen, die ungeplant schwanger werden
- Frauen, deren Periode nicht ausbleibt
Meine Freundin hat an Silvester 2 Gläser Sekt getrunken. Ihr Kind ist aber gesund. Kann das sein?
Die Freundin und ihr Kind hatten Glück. Es kommt bei der Entstehung des Schadens auf den Stoffwechsel von Kind und Mutter an und auf die Gene des Kindes. Stoffwechsel und Gene des Kindes sind dabei tatsächlich entscheidende Faktoren für die Art und Schwere der Schädigung durch die Alkoholintoxikation. Darum geht es manchmal wirklich um Glück.
Ist das ungeborene Kind in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft vor einem Alkoholschaden geschützt?
Die Vorstellung vom Schutz vor dem Zellgift Alkohol gehört eindeutig in den Bereich der Märchen. Alkohol ist ein Teratogen und gelangt durch die Plazenta sofort zum ungebornen Kind. Andere Drogen tun das übrigens auch. In den ersten 12 Wochen sind Gehirn, ZNS (zentrales Nervensystem) und Herz sogar besonders gefährdet geschädigt zu werden.
Seit wann ist FASD bekannt?
FASD ist seit der Antike bekannt. In einem etwa 3000 Jahre alter Text in Bibel und im Tenach heißt es, dass "auf Wein in der Hochzeitsnacht verzichten soll, wer gesunde Söhne (!) bekommen möchte". (Richter 13, Vers 1-7)
1736 fiel in England während der sog. Gin Epidemie der Zusammenhang von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und vorgeburtlicher Schädigung der Föten auf und schaffte es sogar als Bericht bis ins britische Parlament.
1899 wunderte sich der englische Gefängnisarzt W.C. Sullivan über den gesunden Nachwuchs der inhaftierten Frauen und führte dies auf den fehlenden Alkoholkonsum im Gefängnis zurück. Er hatte eigentlich erwartet, dass die inhaftierten Frauen auf Grund ihrer Herkunft immer beeinträchtigte Kinder zur Welt bringen. Alkoholkonsum als entscheidenen Faktor zu finden, hattte er nicht erwartet.
1957 veröffentliche die französische Ärztin Jacqueline Rouquette die erste medizinische Dissertation zu FAS. Sie untersuchte für ihre Doktorarbeit 100 Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Alkohol getrunken hatten und beschrieb als Erste FAS präzise.
1973 gaben die US-Amerikaner David Smith und Ken Jones dem Fetalen Alkoholsyndrom den Namen Fetal Alcohol Spectrum Disoder / FASD.
FASD ist nicht heilbar. Ist es dann nicht egal, ob eine Diagnose gestellt wird oder nicht?
- Kinder mit Fetaler Alkohol Spektrum Störung geraten leicht in eine Abwärtsspirale aus Stress, Überforderung und Scheitern, wenn FASD nicht erkannt oder berücksichtigt wird. Eine frühe Diagnose und die richtige Unterstützung, Hilfe und Förderung können hier viel bewirken und die Folgen und Spätfolgen von FASD im Erwachsenenalter abmildern.
- Menschen mit FASD fragen sich als Kinder, Jugendliche oder als Erwachsene mitunter ihr Leben lang, was mit ihnen nicht stimmt. Sie fragen sich, zum Beispiel warum ihnen immer wieder der gleiche Fehler passiert oder warum der normale Alltag so anstrengend für sie ist. Hier kann eine Diagnose helfen Antworten zu finden, auch wenn sie erst einmal ein Schock für alle Beteiligten ist.
- Manche Kinder und Erwachsene mit FASD gehen glücklich durch ihr Leben, brauchen aber dringend den Zugang zu Hilfen und Unterstützung im Alltag.
- Menschen mit hochfunktionalem FASD sind leistungsfähig, kommen aber oft an ihre Grenzen, weil sie viel Kraft brauchen, um den Alltag zu bewältigen. Dies kann im Laufe des Lebens sogar schlimmer werden. Erwachsene mit hochfunktionalem FASD sind besonders gefährdet für Folgeerkrankungen (Komorbiditäten bei FASD) wie Burn-out oder Depressionen. Ist nicht bekannt, dass FASD die Ursache der Probleme ist, erzielen Therapien und Beratungen meist nicht den gewünschten Erfolg. Die Betroffenen sind gefährdet in eine Abwärtsspirale aus Überforderung, falschen Erwartungen und Scheitern zu geraten.
Was hilft bei FASD?
FASD ist nicht heilbar. Die Schädigung des Gehirns und ZNS ist irreversibel. Damit ist FASD im klassischen Sinn nicht therapierbar. Die betroffenen Kinder und Erwachsenen können weder durch Pädagogik, noch durch Therapien "lernen" kein FASD mehr zu haben. Verhaltenstherapien sind für Kinder mit FASD oft nicht zielführend. Eine VT kann durch klassische verhaltenstherapeutische Methoden wie Eskalation auszulösen oder Verhalten zu ignorieren ein großer Stressfaktor für Kinder mit FASD sein und unerwünschtes Verhalten durch Ritualisieren festigen. Ob und wann z.B. eine Verhaltenstherapie bei FASD hilfreich sein kann oder auch kontraindiziert ist, sollte im Einzelfall gut angeschaut werden.
FASD ist in der Regel gut unterstützbar.
Aber wir wissen aus Follow-up Studien (Spohr et al. 2008 / Streisguth et al. 2004), dass die Funktions- und Alltagsbeeinträchtigungen bei FASD durch eine frühe Diagnostik und ein stabiles, förderndes Umfeld substaniell positiv beeinflußt werden.
Geeignete Therapien für Kinder mit FASD können sein:
- Frühförderung, z.B. sensorische Integration
- Reittherapie
- Ergotherapie
- Logopädie
- Physiotherapie
Das wichtigste für Kinder mit FASD ist die Unterstützung und Förderung im häuslichen Umfeld durch eine Hauptbezugsperson mit Ankerfunktion, die ihnen Sicherheit und Orientierung gibt.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis zu FASD finden Sie im FASD-Elternbuch, Leipholz/Kamphausen, 2020.
Sabine Leipholz
Supervision | Fortbildung | FASD
Telefon: 0 21 63 / 499 70 82
E-Mail: [email protected]